Artikel TT: Führung mehr als operatives Handeln
Von Nina Zacke
Innsbruck - Während ich diesen Artikel schreibe, sitze ich vor meinem Laptop auf der Terrasse statt vor meinem Computer im Großraumbüro der Redaktion. Ich arbeite, wie viele andere, im Home-Office. Die Heimarbeit stellt viele Unternehmen und Organisationen derzeit vor massive Herausforderungen. Unternehmen, die bis dato ihren Mitarbeitern zu wenig Vertrauen für Home-Office geschenkt haben, sind nun quasi gezwungen, dieses Vertrauen aufzubauen. Und jene, die vor der Corona-Krise keine Teleworking-Arbeitsplätze angeboten und somit keine diesbezüglichen Erfahrungswerte haben, trifft es in Zeiten wie diesen besonders hart. Aber nicht nur die Technik ist derzeit eine Hürde, die es zu bewältigen gilt.
Für die Unternehmensberaterin Nikoletta Zambelis sind es im Besonderen drei Ebenen, in welchen Führungskräfte jetzt agieren müssten: "Technisch - habe ich Erfahrungen mit Home-Office, gibt es ausreichend Laptops etc. Operativ - welche Themen können Mitarbeiter von zuhause aus behandeln und welche nicht, das heißt auch, Prioritäten zu setzen, was kann liegen bleiben, was ist wichtig. Und die feinstoffliche Ebene, damit meine ich: virtuelle Teamsitzungen, frage ich meine Mitarbeiter, wie es ihnen in dieser Situation geht, und vertraue ich ihnen."
Dass Führung mehr ist, vergesse man im Home-Office, ist Zambelis überzeugt. Im Home-Office zeige sich früher als sonst, ob ich rein operativ führe oder Führung als Haltung betreibe, sagt sie weiters. Gebe ich meinen Mitarbeitern rein operative Anweisungen oder kümmere ich mich weiter um den einzelnen Mitarbeiter bzw. das gesamte Team, weil die Gespräche im Lift, am Gang oder im Besprechungsraum entfallen? Stehe ich in virtuellen Teamsitzungen mit den Angestellten in regelmäßigem Kontakt? Rufe ich sie an, um zu fragen, wie es ihnen geht? Oder wie sie die Arbeit, etwa neben der Betreuung von Kindern, bewältigen? "Die Verlockung ist groß, dass ich diese Aspekte im Home-Office vergesse", betont die Unternehmensberaterin.
Aber: Es ist erst Tag 6 in der von der Regierung auferlegten Phase der Quarantäne und Ausgangssperre. So ist es vielleicht in den ersten Tagen zu viel verlangt, an alle notwendigen Facetten zu denken, und daher stehe noch bei vielen das Aufrechterhalten des Operativen im Vordergrund. Dennoch rät die Beraterin, auch an die Zukunft zu denken. So darf nicht vergessen werden, dass es irgendwann eine Zeit nach Corona gibt. "Wenn in Krisenzeiten niemand fragt, wie es den Mitarbeitern geht, und sie wie verrückt arbeiten, macht das etwas mit Menschen. Die Zeit danach muss ich als Führungskraft mitbedenken", konkretisiert Zambelis.
Als Unternehmen heißt das neben der Mitarbeiterführung und -entwicklung auch, in der Methode innovativ zu sein. Mitarbeiter könnten angeregt werden, selbst Ideen zu bringen oder auf Fehler hinzuweisen, um die Arbeitsweise von allen zu verbessern. Betriebe könnten ein Gasthaus in der Nähe beauftragen, die Mitarbeiter mit einem Mittagessen zu beliefern. Unternehmergeist in Krisenzeiten bedeutet nämlich Zeit für Ideen, Kreativität und Handlungsspielraum auf allen Hierarchieebenen.
Führung sei eine Haltung, die derzeit noch sichtbarer werde als jemals zuvor. Und dann brauche es eben innovative Wege, so Zambelis.
Tiroler Tageszeitung: 21.03.2020 (Lokalteil Innsbruck), Seite 41